BESPRECHUNGEN & KRITIKEN:

zu Lohengrin von Richard Wagner:

Rezensionen:


10.12.2003 Leverkusener Anzeiger Nr. 287 (Hajo Schroeder):
Der Chor als Hauptdarsteller

Leverkusen. Lohengrins Schwan. Oder wie ein kleines Theater ein so großes Stück in den Griff bekommt, im Forum Leverkusen zu besichten.

Erscheint er? Oder nicht? Der Schwan, in Richard Wagners romantischer Oper "Lohengrin"! Der Zuschauer hat sich längst daran gewöhnt, dass die Konkretisierung des sagenhaften Federviehs diskret ausgespart wird. Auch das Publikum im großen Saal brauchte sich diese Frage nicht zu stellen: die kreative, vor Einfällen überquellende Inszenierung von
Jan-Richard Kehl, mit der das Landestheater Detmold vor einem Jahr im eigenen Haus die Spielzeit eröffnet hatte, war mitreißend genug, um naturalistische Sehnsüchte vergessen zu machen.

Derart bedacht, vermochte den Zuhörer die Länge der durchkomponierten Großform, für die der Tonmeister 1845 selbst den Text geschrieben hat, kaum anzufechten. In Leverkusen betrug sie vier Stunden und 25Minuten, einschließlich des starken Beifalls und einiger Bravos zum Schluss - die zwei Pausen, zum zweiten und zum letzten Akt, erwiesen sich zur Sammlung der Besucher in den Gängen als unverzichtbar.

Wie ein roter Faden zieht sich Lohengrins Gebot "Nie sollst du mich befragen!" durch das Musikdrama. Es wird zum Leitmotiv der Handelnden, aber auch zur Maxime der Bösen. Die kunstvollen Variationen des melodischen Materials, auf Stimmungen und Ereignisse jeweils abhebend, vermag nur ein starkes Interpretenteam einzulösen, wie es dem Landestheater durchweg zur Verfügung stand. Gesanglich die Nase vorn hatte
Ivar Gilhuus, der schon in der Premiere den Lohengrin gegeben hatte, dank treffsicherer und modulativer Stimme zwischen lyrischer und heldenhafter Güte. Für die erkrankte Brigitte Bauma hatte die jugendfrische Dagmar Hesse das Kleid von Elsa angezogen, ihr entsprang ein interessantes, mitunter spitzes, doch ehrliches Timbre.
Einzig für die Leverkusener Aufführung, für die Rolle des Telramund war der opulent klingende Bassbariton
Allan Evans verpflichtet worden, ein farbiger US-Amerikaner, der sich auf Reisen in Deutschland wohltuende Verständlichkeit des deutschen Idioms angeeignet hat. Gemahlin Ortrud verkörperte Margo Weiskam, ebenfalls aus der ersten Besetzung, mit dramatischem Sopran. Positiv zu nennen wären noch Vladimir Miakotine als HeinrichI. oder Oliver Weidinger als Heerrufer.

Klasse auch die musikalische Leistung des variabel eingerichteten
Chors, einer der "Hauptdarsteller" der gesanglichen Linie im "Lohengrin".
Das große
Orchester unter Erich Wächter erfüllt alle Tugenden von prachtvoll mächtigem, aber auch süßem Wagner-Klang. Die Akustik des strahlenden Blechs kam sicherlich deshalb so frei zur Entfaltung, da der große Saal mit rund 600Zuhörern besetzt war. Für den kleineren Saal des Detmolder Theaters hätte es allerdings "Ausverkauft" geheißen. Alles ist relativ.



29.04.2003 Deister- und Weserzeitung Hamlen (DEWEZET) (Hans-Peter Groß):
Wagnersche Klanggewalten - und ein 'reisefähiger' Lohengrin

Hameln. Die komplette Aufführung einer Wagner-Oper im Hamelner Theater gehört schon zu den besonderen Ereignissen, die Hameln u.a. kulturell zu bieten hat. Welch ein Glück, dass in Detmold eine Lohengrin-Inszenierung im Programm steht, die zum einen „reisefähig" ist, zum anderen im Vorfeld schon mit etlichen Vorschusslorbeeren versehen war. So waren Spannung und Neugier auf diese Aufführung doch erheblich.

Da ist zunächst die Inszenierung von
Jan-Richard Kehl, die erfreulicherweise ohne die in letzter Zeit auch in Niedersachsen um sich greifende Vorliebe für modernistische Überfrachtung des Bühnengeschehens auskommt und die dabei letztendlich das musikalische Geschehen außer acht lässt, wenn nicht sogar überflüssig macht. Kehls Inszenierung hingegen lässt die Brabanter in Brabant, ändert nicht die Zeit des Geschehens und ist trotzdem von einer frappierend modernen Sichtweise der Handlung, die die Hoffnung auf adäquates, zeitgemäßes, die Musik als Hauptträger des Bühnengeschehens akzeptierendes Musiktheater nicht ersterben lässt.

Kehl erreicht das durch einen relativ einfachen Trick: Er erzählt die Handlung aus der Sicht Ortruds, die auf Grund ihrer persönlichen Biografie alles Neue in Frage stellt. Eine sofortige Identifizierung mit dem „guten" Paar Elsa/Lohengrin oder eine damit einher gehende Einstufung des Paares Ortrud/Telramund als „Böse" fällt damit schon mal schwer und lässt die romantische Oper Wagners sich schnell in eine hochpolitische verwandeln. Höhepunkte auch und gerade in der Personenführung waren dabei die Dialogszenen (Anfang 2. Aufzug, Brautgemach). Hier wurde deutlich, wie mit wenig Aufwand intimes Kammerspiel inszeniert wurde, das Spannung auch über den Orchestergraben hinweg aufkommen ließ.

Die Musik bleibt in dieser Inszenierung Haupthandlungsträger. Wer will, kann den Gedanken des Regisseurs nachsinnen oder es bleiben lassen und sich dem Fluss der Klänge hingeben. Da fühlt man sich als Publikum ernst genommen, weil man selber entdecken kann, ob eine Oper nach 150 Jahren für uns noch eine Aussage hat oder ob es ein schönes museales Stück Theater für Melomanen ist.

Musikalisch kann man die Aufführung generell als gelungen bezeichnen, was in erster Linie dem Dirigenten
Patrick Francis Chestnut zu danken ist, der sein Orchester durchweg kammermusikalisch führte und so auch in den großen instrumentalen Ausbrüchen für Klarheit und Transparenz sorgte. Darüber hinaus hielt er den Kontakt zur Bühne und hatte das Geschehen bis auf wenige verwackelte Choreinsätze in den komplizierten Doppelchören gut im Griff.
Der Raum des Theaters in Hameln ist für diese Klanggewalten allerdings doch zu klein, der Klang kann sich nicht mischen und so bleiben bei allem Können und trotz aller Bemühungen der Musiker letztlich akustisch oft Wünsche offen.

Zweiter Erfolgsträger der Aufführung war der
Chor, der Beachtliches leistete und äußerst klangschön agierte. Dass ein kleines Haus wie Detmold einen Lohengrin aus eigener Kraft besetzen kann und dabei keinen größeren Schiffbruch erleidet, verdient höchste Anerkennung. Angefangen beim Heerrufer von Yoo-Chang Nah, der mit warmem Timbre und der besten Textverständlichkeit des Abends glänzte und so seine Partie mit Autorität und Würde versah. Die besaß auch der Heinrich des Basses Vladimir Miakotine. Mit großer Bassgewalt gestaltete er seinen König, ließ ein beneidenswertes Stimmmaterial hören und nahm damit sehr für sich ein. Eindringlich und überzeugend spielte Elmar Andree den Telramund, war dabei immer deutlicher Vasall Ortruds. Stimmlich allerdings schien er (zumindest an diesem Abend) deutlich überfordert.
Alexei N. Vavilov als Lohengrin begann seine Partie im ersten Aufzug mit stählerner Stentorstimme, die er erst in der Gralserzählung abzulegen bereit war. Schade, dass er diese Farben seiner Stimme erst so spät zeigte, denn der Lohengrin ist ja gerade in dieser Inszenierung nicht nur der Strahlemann.
Brigitte Bauma als Elsa zeigte einen schönen lyrischen Sopran. Sie hatte ihre stärksten Momente in wunderschön gestalteten Piano-Phrasen, konnte aber durchweg überzeugen, vor allem auch in ihrer Gebrochenheit.
Die stärkste Bühnenpräsenz allerdings strahlte
Margo Weiskam als Ortrud aus. Von Anfang an erschien sie als Drahtzieherin nicht nur in ihren intriganten Zügen, die ja von Wagner per Libretto vorgesehen sind, sondern auch in der allgemeinen Aufforderung des „Befragens" allen gesellschaftlichen Geschehens. Eine überragende Leistung!

Alles in allem ein Wagner-Abend mit einer nachdenklich stimmenden Regie und zufrieden stellenden musikalischen Seite.



07./08.12.2002 Neue Westfälische (Ulla Meyer):
Es geht auch ohne Schwan

Paderborn. Es geht auch ohne Schwan! Seit Generationen freuen sich Bühnenbildner und Regisseure auf den Schwan im Lohengrin wie auf die Wildsau im „Freischütz". Doch seit das kleine Detmolder Landestheater im September dieses Jahres eine umjubelte Lohengrin-Inszenierung auf die Bretter brachte, weiß die Opernszene, dass es auch ohne Schwan richtig toll sein kann.

Am Mittwoch war der vom Schwane befreite Lohengrin bei mittlerer Besucherdichte in der Paderhalle zu sehen und hat wirklich alle überzeugt. Der für Paderborner Verhältnisse frenetische Applaus, der sich nach gut vier Stunden Kurzweil entlud, galt einerseits dem originellen Dramaturgischen Konzept von
Jan-Richard Kehl und Elisabeth Wirtz und ganz besonders der sängerischen Lichtgestalt des Abends: Klaus Florian Vogt.
Vogt, hat vor wenigen Jahren seinen Posten als Hornist im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg gegen ein festes Engagement als Tenor an der Dresdner Semperoper eingetauscht und arbeitet mit Dirigenten wie Sinopoli und Colin Davis. Er muss also gar nicht mehr entdeckt werden, nur den Namen sollte man sich merken. Kurzfristig sprang Vogt für die zwei verhinderten Tenöre der Stammbesetzung ein und siegte auf der ganzen Linie.
Ein Lohengrin wie Vogt braucht keine glänzende „Silberrüstung" und auch kein „goldenes Hörn", wie Wagner in seiner Regieanweisung vorschreibt, nicht mal den Schwan. Die jenseitige innige Kantilene, mit der sich Lohengrin gegen den aufbrausenden Jubel seiner Ankunft abhebt „nun, sei bedankt, mein lieber Schwan!" hat wirklich etwas Außerirdisches, so leise, so klar, so rein, so verschmolzen mit Grals-Thema und Schwan-Motiv, dem ständigen Wechsel von A-Dur und fis-Moll.
Das ist spirituelle Energie pur. Auch und gerade wenn Lohengrin mit speckig glänzender Hose und hocherotischem Drei-Tage-Bart einen nicht vorhandenen Schwan verabschiedet. Das Federvieh wird durch ein wenig weißen wabernden Bühnennebel angedeutet, das reicht.

Parallel zur sphärisch knisternden Ouvertüre wurde pantomimisch die Vorgeschichte erzählt, in der Ortrud dem kleinen Gottfried nach dem Leben trachtet und ihn ins Totenhemd hüllt. Damit hat sich die komplette Verwandlungsgeschichte erledigt, die am Ende Klein-Gott-fried als verwandelten Schwan enttarnt, so wie sämtlicher wagnerianischer Requisitenkitsch.

Das wirkt so erfrischend wie das glanzvolle Ensemble mit einem überzeugenden Heinrich (
Vladimir Miakotine) an der Spitze. Top-Tenor Vogt stand mit Brigitte Bauma als Elsa eine adäquate Sopranistin gegenüber, die das zarte Lyrische und das Hochdramatische meisterlich vereint. Gegenspielerin Ortrud (Margo Weiskam) mit bestechend scharfem Mezzo, sämtliche Modernismen Richard Wagners lustvoll auslotend und Ulf Paulsen, genial in der komplizierten Figur des Friedrich von Telramund.

Doch neben Vogt waren
Chor und Orchester die wahren Stars des Abends. Das Orchester servierte unter Leitung von Generalmusikdirektor Erich Wächter einen Wagnerklang wie er sein muss, auch in den zerdehntestes Phasen immer nah am Puls, üppig klangschön, hochkonzentriert und in wunderbarer Übereinstimmung mit den Solisten. Auch der gewaltige Chor (er erhielt Unterstützung vom Coruso e. V.) erwies sich als lupenrein, klangschön und gut ins Geschehen integriert.

Vieles, was diese Inszenierung an Fragen anbot, ließ sich beim ersten Sehen nicht ganz klären. Es bleibt ein Bündel von offenen Fragen, die die viel zu wenigen Zuschauer auf ihrem Heimweg begleiteten. So sollte das immer sein.




November 2002, Das Opernglas (S. Mauß):
Lohengrin

Detmold. „Wer nicht fragt, bleibt dumm!", das verkündet die „Sesamstrasse" ihrem jungen Publikum ohne Wenn und Aber. „Wer fragt, schaut am Ende dumm!", könnte hingegen die Konsequenz aus Wagners »Lohengrin« lauten. Und um genau diesen Zwiespalt kreiste Jan-Richard Kehls Inszenierung des Werkes am Landestheater Detmold. Nun ist es schon allein ein Wagnis der besonderen Art, ein solch gigantisches Werk an einem so kleinen Haus (knapp 700 Plätze) auf die Bühne bringen zu wollen, aber es sei schon verraten: Der Mut hat sich auf der ganzen Linie ausgezahlt und eine szenisch wie musikalisch ausgesprochen spannende »Lohengrin«-Deutung hervorgebracht.
War man nach dem Betreten des Hauses zunächst einmal über die Enge (trotz reduzierter Besetzung) im kleinen Orchestergraben erstaunt, verflogen Befürchtungen über etwaige Klangeinbussen im Folgenden sehr schnell. Da der Orchestergraben weit unter die Bühne reicht, präsentiert sich bereits das Vorspiel in fast BayreutherTransparenz, auf die man sich im Zuschauerraum allerdings nur bedingt konzentrieren kann, da währenddessen die Handlung auf der Bühne bereits beginnt. Während Elsa in den Fantasy-Roman „Die Nebel von Avalon" vertieft ist, diskutieren Ortrud und Gottfried schriftlich per Kreide auf einer Tafel die Frage, ob man nun fragen soll oder lieber doch nicht. Als Ortrud dem jungen Herzog das Fragen nahe legt, trifft dieser mit seinem Erstversuch in dieser Disziplin gleich ins Schwarze, als er nach Ortruds Vater fragt und erfahren muss, dass dieser von Gottfrieds Vater getötet wurde. Ganz am Schluss fragt Gottfrieds Blick dann erneut Ortrud, diesmal mit umgekehrten Vorzeichen beim Anblick seiner zusammengesunkenen Schwester.

Das Spiel um Fragen und Nicht-Fragen, um Schuld und Unschuld wird in Kehls Inszenierung immer wieder zur „idee fixe", wobei diese manchmal allerdings allzu plakativ sichtbar gemacht wird, etwa in den Schriftprojektionen auf der Fassade des Münsters.
Michael Engel hat für dieses Fragespiel ein schlichtes aber wirkungsvolles Bühnenbild entworfen, dessen Versatzstücke schnell und einfach zur stilisierten Münsterfassade, zum Brautgemach oder zum Scheideufer arrangiert werden können. Claudia Heinrichs unaufdringliche Kostüme unterstützen diesen Regieansatz, aus der großen Oper ein zeitlos gültiges Kammerspiel zu machen, perfekt. Das bekommt dem Werk ausgezeichnet und hatte zudem im intimen Detmolder Theater einen denkbar günstigen Schauplatz gefunden. Die Spannungsfelder der Personen untereinander wurden auf diese Weise hautnah für jeden im Saal spür-und hörbar. Konsequenterweise bleibt aber auch bei Kehl letztendlich die Frage nach Fragen oder Nicht-Fragen offen, wenn der Vorhang fällt. Klar zeigt er aber, dass nur Frage und Antwort Konsequenzen und Veränderungen mit sich bringen, die allerdings nicht immer zwangsläufig positiver Art sein müssen.

Erfreulich wenig Fragen ließ hingegen die musikalische Seite des Abends offen.
Erich Wächter fand mit dem Orchester des Landestheaters trotz reduzierter Größe bereits im Vorspiel einen erstaunlich souveränen und spannenden Wagner-Ton. Dabei war besonders die technische Sicherheit der Blechbläser und die Klangschönheit der Holzbläsergruppen bemerkenswert. Aber auch der Rest des Klangkörpers ließ erstaunlich wenig Schwächen erkennen, was umso beeindruckender ist, wenn man bedenkt, dass die Partitur in diesem Hause nicht regelmäßig aufden Pulten liegt.

Übersich hinaus wuchsen die von
Felix Lemke einstudierten Chöre, die bei ebenfalls reduzierter Größe Fehler nur schwerlich durch Masse hätten kaschieren können. Das Chorbild profitierte zudem durch die exzellente Durchhörbarkeit, die Wagners Stimmensatz an vielen Stellen wesentlich deutlicher werden ließ als bei größeren Ensembles.

Bemerkenswert auch die Qualität des Solistenensembles: Überragender Sänger des Abends war der junge
Ulf Paulsen als Telramund. Sein kräftiger Bassbariton zeigte zwar anfänglich in der Höhe ein wenig Nervosität, gewann aber im Laufe des Abends immer mehr an Sicherheit und Faszination. Wer noch die wesentlich schwächere Leistung Jean-Philippe Lafonts in der gleichen Rolle in Bayreuth wenige Wochen zuvor im Ohr hatte, überlegte sicher insgeheim, ob man nicht auch hier das eine oder andere „fragen" sollte...
Eine zumindest stimmlich mehr als nur überzeugende Leistung bot bei seinem Deutschlanddebüt auch der Tenor
Ivar Gilhuus aus Oslo in der Titelpartie. Die Stimme verfügt über ein gutes Volumen sowie eine sichere und schnell ansprechende Vollhöhe (perfekt etwa der heikle Einsatz auf dem hohen A des „Heil dir Elsa!"}. Eine elegante Phrasierung sowie ein bemerkenswertes stimmliches Durchhaltevermögen (das lediglich im Brautgemach kurzfristig in Frage gestellt wurde) stehen zudem auf der Habenseite dieser Heldentenorstimme.
Glaubwürdig war auch
Brigitte Baumas Elsa. Die Stimme der Österreicherin hat sich seit ihrer Hildesheimer Zeit enorm entwickelt, vor allem in puncto Tragfähigkeit und Phrasierung. Diese Elsa stand trotz ihres Hangs zur Fantasy-Literatur zumindest stimmlich mit beiden Beinen auf der Erde. Während man sich für Elsas Gebet eine leichtere Stimme hätte wünschen können, punktete Baumas voller Sopran vor allem in den Auseinandersetzungen mit Lohengrin und Ortrud, wo sie stimmlich ihren Partnern stets ein ausgezeichneter Gegenpart war. Ihre weitere Entwicklung im Wagnerfach dürfte sicher interessant werden.
Durch diese Leistung ließ sich auch die Finnin
Margo Weiskam als Ortrud mitreißen. Während sie im ersten Aufzug noch sehr verhalten sang und agierte, riskierte sie nach der ersten Pause viel und gewann damit auf ganzer Linie. Das fulminante „Entweihte Götter" wurde so zu einem der stimmlichen Höhepunkte des Abends.
Als ungewöhnlich jugendlicher König Heinrich bot
Hans-Otto Weiß eine szenisch mitunter etwas verwirrende Erscheinung, die ihn wie den jüngeren Bruder Lohengrins erscheinen ließ. Stimmlich bot er aber eine ausgezeichnete Leistung durch seinen nicht sehr dunklen dafür aber wunderbar flexiblen Bass. Rainer Weiss' Heerrufer hingegen fehlte es für diese Rolle an diesem Abend trotz hervorragender Artikulation etwas an stimmlicher Durchschlagskraft. Auch die kleineren Partien waren ohne Ausnahme gut besetzt, sodass am Ende der Aufführung die Standing Ovations des Publikums für eine ausgezeichnete Ensembleleistung absolut berechtigt waren und alle Skeptiker beschämen mussten, die im Vorfeld mutmaßten, Detmold würde sich an diesem Werk verheben.



29.01.2003 Lüdenscheider Nachrichten (gam):
Lohengrin in der Welt der Farben

Lüdenscheid. Mit einem politischen „Lohengrin" gastierte das Landestheater Detmold auf der Bühne des Kulturhauses. Dunkel war die Stimmung in Richard Wagners Oper vom „lichten Gralsritter", imperialistische Drohgebärden standen im Vordergrund, nicht die Liebesbotschaft des Grals.
Schon im Vorspiel machte eine stumme Szene zwischen Ortrud und dem noch nicht in ein Schwanenkleid gebannten Trohnfolger Gottfried deutlich, worum es hier einzig ging: um die Macht in deutschen Landen - und die durfte niemals in Frage gestellt werden.

Brigitte Bauma sang und spielte eine fast harmlose Elsa von Brabant, die in das Gerangel um die Herrschaft gerät und schließlich ohne wirkliche Schuld sterben muss. Ebenso gab Ivar Gilhuus eher einen warmen, menschlichen Lohengrin, der - gar nicht so sehr überbordend von Sendungsbewusstsein - seine Aufgabe zu erfüllen versucht, dem aber der Übergang vom politisch Dienenden zum Vertrauten seiner Braut nicht gelingt. Beide leisteten stimmlich Gewaltiges über dem massiven, sehr gut ausgeführten Orchesterpart.
Ebenso beeindruckte
Margo Weiskam als leidenschaftliche und vor allem vielschichtige Ortrud, der man nicht nur den Machthunger, sondern auch die stete Kränkung abspüren konnte. Stimmlich enttäuschend war dagegen Elmar Andree mit der Partie des ehrsüchtig-großmäuligen Friedrich von Telramund.
Das imperatorhafte Stolzieren
Vladimir Miakotines als Heinrich der Vogler passte ebenso gut ins Bild wie die Wichtigtuerei Yoo-Chang Nahs in der Rolle des königlichen Heerrufers.

Die Dramaturgie und Inszenierung von
Elisabeth Wirtz und Jan-Richard Kehl verfolgten eine Strategie der Polarisierung der verschiedenen Welten. Am augenfälligsten schlug sich dieses in den Farbeffekten nieder. Während Elsa und ihr Frauengefolge in lichtem Weiß auftraten, trug Ortrud ein ausgesprochen weltliches Rot. Die Männer steckten sämtlich in schwarzen Uniformen unbestimmbaren Zuschnitts - so auch Lohengrin, dessen Gewand allerdings, wie das des jungen Gottfrieds, auch weiß zu schimmern vermochte. Insgesamt sehr dunkel wirkte die Bühnengestaltung, gotisch anmutende Spitzbögen umringten das gesamte Geschehen. Sie trugen auch die Schriftzeichen „Nie sollst du fragen" wie ein ewig unumstößliches Gebot. Nur Elsas Brautgemach war hell gehalten, hier galten kurzfristig ihre Gesetze, hier stellte sie die Fragen.
Der Masse der Männer mit martialischem Auftreten, welches sich bis zu militärischer Erstarrung steigerte, standen bewegliche Frauenfi-guren gegenüber, deren Vorstellungen vom Leben anderen Regeln zu folgen schienen. Elsa konnte und wollte sich einem allgemeinen, ihr verborgenem Ziel nicht unterordnen, stellte die verbotene Frage und wurde dafür aus dem „Heilsplan" verstoßen. Auch Ortrud hatte, wesentlich zielbewusster und realistischer als die Träumerin Elsa, andere Pläne und scheiterte. War es Zufall, dass sich die beiden Frauen in Statur, Frisur und Stimmegebrauch so nahe kamen? Ihre gemeinsame Szene vor der Hochzeitsnacht bildete an Spannung und Intensität des Ausdrucks den eigentlichen Höhepunkt des Abends: Arbeiteten sie an einem weiblichen Gegenentwurf zur herrschenden Weltordnung?

Was in Kostümierung und Bühnenbild diffus blieb, machte das Programmheft deutlich: Die bedrückende Wirkungsgeschichte des „Lohengrin" führt vor allem in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von früher Prägung Hitlers ist da die Rede, Fotos von Soldatenhelmen und jüdischen Grabsteinen wurden einmontiert, Heiner Müller und Bertolt Brecht zitiert. So war die Entscheidung für eine bestimmte Interpretation des Werkes eigentlich schon getroffen, bevor der erste Ton erklang. Für die musikalischen Zart- und Schönheiten blieb da wenig Raum.



29.01.2003 Lüdenscheid (Monika Salzmann):
Frenetischer Beifall für "Lohengrin"

Lüdenscheid. Diffus das Licht, in Nebel gehüllt die Bühne. Zu den romantisch-verklärten, in gewaltigen Wogen sich aufschwingenden Themen von Wagners „Lohengrin"-Vorspiel zieht sich Elsa, Tochter des verstorbenen Herzogs von-Brabant, kauernd in einen Winkel der Bühne zurück. Schneeweiß ist ihr Gewand, schwarz die Uniform ihres Anklägers, Graf Telramund, der sie vor König Heinrich und den Männern des Landes des Brudermords bezichtigt. „Tot" prangt in dicken Lettern an der Wand.
Bedrückend düster und bedrohlich ist die Szenerie. Schon zückt Telramund das Schwert, um jeden Verteidiger Elsas zu Boden zu strecken. Rettung bringt Lohengrin, der Grals-und Schwanenritter, der Telramund per Gottesgericht Lügen straft. Der düstere Vorhang im Hintergrund fällt. In gleißendem Licht erscheint der strahlende Held, der unerkannt bleiben muss, will er für die Unschuld eintreten und irdisches Glück genießen.

Gewaltiges Werk, bemerkenswerte Inszenierung: Mit „Lohengrin", in der Titelrolle mit Ivar Gilhuus< großartig besetzt, drang das Landestheater Detmold am Samstagabend im gut besuchten Kulturhaus tief in die mystisch bewegte Opernwelt Wagners ein. Mit außergewöhnlich großer Besetzung und eindrucksvollen Spielideen („Schwanenfeder-Regen" oder Neonschriftzug mit dringlicher Mahnung) setzten die Detmolder das vierstündige romantische Werk in Szene.
Vor eindrucksvoller Kulisse enthoben sie das im Antwerpen der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts spielende Operngeschehen seiner Zeit. Königliche Pracht assoziierte die aufstrebende Palastarchitektur im Hintergrund (Bühne:
Michael Engel). Statuen gleich - durch Licht hervorgehoben - sandten Trompeter von oberer Spielebene ihr triumphierendes Echo aus. Zeitlos schlicht - den klaren Linien der Holzkonstruktion angepasst - die Kostüme, symbolträchtig in den Farben. Aus der Menge schwarzer Uniformen (Männer, die in den Krieg ziehen) und weißer Roben trat Ortrud, Aufwieglerin und Verleumderin, in leuchtendem Rot schon optisch Unheil stiftend hervor.

Unter musikalischer Leitung von
Erich Wächter und Regie von Jan-Richard Kehl machten Orchester, Chor und Solisten den „Lohengrin" zum Erlebnis. Von Akt zu Akt steigerte sich die Intensität des Geschehens. Insbesondere der bewegende dritte Akt mit Elsas drängendem Fragen nach der Herkunft des Schwanenritters und Lohengrins Offenbarung war Musiktheater vom Feinsten, packend und faszinierend in Szene gesetzt.
Zu Recht feierten die Zuschauer diesen „Lohengrin" mit frenetischem Beifall und seinen Titelhelden mit vielfachem Bravo. Souverän führte das große Orchester das den erweiterten Orchestergraben für sich beanspruchte, die Zuhörer an die hoch romantische, zugleich mystisch verklärte wie düster dramatische Musiksprache des Werkes heran. Stimmgewaltige Chöre berauschten. Einen wahren Kraftakt meisterten die Solisten in bewegenden Partien. Vor allem Lohengrin alias
Ivar Gilhuus in schimmerndem Outfit bot erhebendes Erleben. Mit klarer, kraftvoller Stimme focht der Tenor seinen inneren Zwist zwischen göttlichem Auftrag und dem Wunsch nach irdischem Glück aus. Großartig auch Sopranistin Brigitte Bauma als Elsa, von der nicht minder eindrucksvoll agierenden Ortrud (Margo Weiskam) in ihrem Vertrauen zu Lohengrin erschüttert. Vladimir Miakotine erfreute als Heinrich in tiefsten Lagen. Elmar Andree unterlag als Telramund dem Schwanenritter.



27.11.2002 Der Patriot (AK):
Markantes Kolorit

Lippstadt - Natürlich geht man mit einer gewissen Bängnis in eine „Lohengrin"-Aufführung, wenn sich eine mittlere Bühne an das Wagner-Werk heranwagt. Selten aber war diese Bängnis so unberechtigt wie bei der Aufführung dieser anspruchsvollen Komposition durch das Landestheater Detmold im Lippstädter Stadttheater. Mag sein, mancher ausgebliebene Zuschauer ist vor der Länge der Oper zurückgeschreckt, einen großen Abend aber hat er damit versäumt.

Ganz auf bildgetränkte Romantik hatte Herzog in Bayreuth das Werk angelegt.
Jan-Richard Kehl steuerte eine Gegenrichtung, wollte das Märchenhafte weitgehend ausblenden, und das geht natürlich nicht. Aber sein Ansatz, die gesamte Geschichte förmlich in der Traumvorstellung Elsas abzuspiegeln, die inhaltliche Vorgeschichte dazu in das Vorspiel zum ersten Akt zu verlegen, geht weitgehend auf, obwohl das Bühnenbild von Michael Engel, zwischen Kathedrale und World Trade Center angelegt um Aktualisierung bemüht, dem etwas zuwider lief.

Entscheidend für den Gesamteindruck aber, wie könnte es auch anders sein, war die Musik. Und die bekam unter der Leitung von
Erich Wächter einen so ruhig strömenden Fluss, ein so markantes Kolorit, dass die Struktur des Werkes bis in die Varianten der Leitmotive in ihrer Bedeutung erkennbar wurde. Unter Wächters Leitung herrschte im Orchestergraben größte Konzentration und Sicherheit, Streicher und Bläser klangen in selten hier so gehörter Ausgewogenheit.
Diese Sicherheit der musikalischen Leitung übertrug sich auch auf die Bühne, und hier muss mit Hochachtung zunächst die Leistung des
Chores, von Felix Lemke einstudiert, genannt werden. Er ist deutlich Mitwirkender am Bühnengeschehen und füllte diese Rolle sängerisch aber auch darstellerisch glänzend aus.

Auch bei einer respektablen Ensembleleistung müssen die einzelnen Darsteller genannt werden. Hat man nicht Grund, einige zu verschweigen, und das wäre hier wahrlich unangemessen, wo Künstler sangen, denen schon heute Detmolder Sprungbrettfunktion anzumerken ist. Da ist zunächst die in allen Lagen mit wohltuend ausgeglichenem, abgedeckten Sopran ausgestattete
Brigitte Bauma als Elsa zu nennen, der Margo Weiskam mit dramatischem, auch in den Ausbrüchen stimmlich kontrolliertem Mezzo als Ortrud kaum nachstand.
Bei den Männern dominierte
Vladimir Miakotine als Heinrich, ein mit einem riesigen Volumen ausgestatteter Bass, dem es bei aller Präsenz ein wenig am Piano-Register mangelt. Alexei N. Vavilov als Lohengrin war von der niedlich verschämten Brautgemachszene an stimmlich und darstellerisch souverän, hatte vorher einen etwas irritierenden Macho abgeliefert. Elmar Andree, in der schwierigen Heldenbariton-Partie des Telramund, von der Personenführung stellenweise etwas allein gelassen, bewältigte seinen Part mit zunehmender stimmlicher Sicherheit trotz einer leichten Indisposition. Sehr eindrucksvoll Rainer Weiss als markanter Heerrufer, nicht minder beeindruckend aber auch die Besetzung der kleineren Nebenrollen.

Ein großer, Beifall überschütteter Abend also mit insgesamt imponierenden sängerischen Leistungen und einem diskussionswürdigen Konzept - was könnte man Lobenswerteres sagen?



November 2002 theater pur (G.Wasa):
Kein Schwan auf Ground zero

Detmold. 15 Jahre lang hat Ulf Reiher das Landestheater Detmold geleitet. Jetzt gönnt er sich einen großen Abschied: Er selbst inszeniert den „Faust 1", schon vorher lässt er die Spielzeit mit „Lohengrin" eröffnen: seit langem das erste Mal, dass wieder eine Wagner-Oper auf die kleine Detmolder Bühne (von anderen Spielorten zu schweigen!) gewuchtet wird.

Ein schöner aber vielleicht riskanter Einstieg für den neuen Generalmusikdirektor
Erich Wächter? - Ach was, der bringt schon reichlich Wagner-Erfahrung mit, bekommt ein professionelles Orchester und einen Chor, der durch Extrachor und Mitglieder des freien Opernchores „Coruso" noch aufgestockt wird, und stimmgewaltige Solisten, von denen vor allem Ulf Paulsen als Telramund und Margo Weiskam als Ortrud hervorzuheben sind, aber auch Hans-Otto Weiß (König Heinrich), Brigitte Bauma (Elsa) und und und ...

Am Schluss dankt das Publikum mit stehenden Ovationen, die Kritik („Mein lieber Schwan!") ist angetan.

Ins Zentrum ihrer Inszenierung wollten
Jan-Richard Kehl / Elisabeth Wirtz die Figur der Ortrud stellen, die von Wagner als böse Hexe gezeichnete Figur, die aber auch als weise Frau gesehen werden kann, die um die Erhaltung des (bewährten) Alten kämpft, aber gegen den Ansturm des Neuen keine Chance hat. Ihren ersten Auftritt hat Ortrud schon während des Vorspiels, wo sie mit dem Thronerben Gottfried per Kreideschrift einen Dialog über das „Fragen" führt - dramaturgisch eine gute Idee, die aber so manchen Musikliebhaber empörte, da sie doch von der Konzentration auf das Vorspiel (für Wagnerianer ein musikalisches Kleinod!) ablenkt. Immerhin wird dem Zuschauer am Ende dieser Szene die Verwandlung Gottfrieds in den Schwan angedeutet - während der Schwan zur Enttäuschung aller Romantiker sonst unsichtbar bleibt.

Dafür haben sich die Detmolder Gedanken um den politischen Gehalt der Oper gemacht, die ja zu Hitlers Lieblingswerken gehörte - kein Wunder, bei dieser Huldigung an das Führerprinzip, den Drohungen, die gegen den Feind aus dem „öden Ost" ausgestoßen werden, der Beschwörung des „deutschen Schwertes" für „des Reiches Kraft" (was gerade in Detmold Assoziationen weckt, wo ein Denkmals-Hermann ein Schwert mit der Aufschrift „meine Stärke - Deutschlands Macht" wider den Feind reckt). Diese Überlegungen lassen sich teilweise im informativen Programmheft nachlesen (für das der Dramaturgin ein Extra-Lob gebührt!), in die Inszenierung sind sie kaum eingegangen. Die erschreckt (oder warnt?) sogar mal mit martialisch aufmarschierenden Truppen.

Und die führt erschreckend in die Gegenwart, indem sie die Auseinandersetzung Alt - Neu im Bühnenbild aufnimmt: Die hohen schlanken Säulen lassen zunächst an gotische Baukunst denken, aber auch an moderne Wolkenkratzer. Im ersten Akt hat kaum jemand die charakteristische Fassadenstruktur des World-Trade-Centers wieder erkannt. Und wenn im zweiten Akt massenhaft Papierblätter von oben herab schneien, um dann weggekehrt zu werden, dann kann man das immer noch mit Konfetti-Parade assoziieren. Wenn sich aber zum Schluss die Fassade, unter rotem Leuchten / Feuerschein und Nebel / Rauch auflöst und endlich nur die bekannte Ruinen-Silhouette übrig bleibt, dann ist klar: hier hat eine bisher unerhörte Auseinandersetzung zwischen Alt und Neu, zwischen Gut und Böse begonnen. Was davon Gut, was davon Böse ist - die Antwort kann auch kein Lohengrin geben.



22.09.2002 www.omm.de (Mariko Jacoby ):
Keine Frage!

Detmold. Es ist schon ein Wagnis, in einem kleinen Theater wie Detmold ein so großes Stück auf die Beine zu stellen. Aber Intendant Ulf Reiher, der neue Generalmusikdirektor Erich Wächter und Regisseur Jan-Richard Kehl ließen sich nicht abschrecken. Und es ist auch gut so. Mit diesem Lohengrin ist ihnen und den Mitwirkenden nämlich ein glänzender Anfang der neuen Spielzeit gelungen.

Anstatt auf pompöse Effekte oder dergleichen zu setzen, hat Jan-Richard Kehl das persönliche Drama zwischen den Hauptpersonen herausgearbeitet. Im Zentrum steht bei ihm das Motiv "Fragen", das er schon beim inszenierten Vorspiel aufgreift. Während Elsa über ihrem Buch eingeschlafen ist, bringt Ortrud Gottfried (mittels Anschreiben mit Kreide) dazu, sie nach ihrem Vater zu fragen. Als sie dann mit "Dein Vater hat ihn umgebracht" antwortet, kommt Lohengrin mit einem Gehilfen und verwandelt ihn in den Schwan. Während der Besucher noch über die Bedeutung dieser Dinge nachdenkt, geht der Vorhang auf und man sieht auf die Bühne mit weiß verhüllten Wänden (Bühnenbild:
Michael Engel). Alle Männer und Ortrud sind in schwarz, Elsa und die Frauen in weiß gehalten. Lohengrin ist interessanterweise auch in schwarz, doch zur Kennzeichnung in einen glänzenden Anzug gekleidet. Bei seinem Auftritt werden die Vorhänge heruntergelassen und es wird eine weiße, zweistöckige Säulenhalle sichtbar. Laut Programmheft symbolisiert diese die Wunsch- und Heilsvorstellung der Menschen, die während der "Heils"-Beschwörung aufgebaut wird, als Sinnbild für die Weltsicht der Menschen, die sich in der Architektur zeigt, so wie Wolkenkratzer für Kapitalismus oder Globalisierung stehen.

In diesen Rahmen kam das Persönliche.
Jan-Richard Kehl schaffte es während des fast vierstündigen Werkes, die Zuschauer an das Geschehen zu fesseln. Er hat auch versucht, das Prinzip "Masse" in sein Konzept einzubringen. Es erfolgt eine strikte Trennung zwischen den Brabantern und den Mannen des Königs. Sie bewegen sich harmonisch, fast ohne Individualität. Zum Beispiel schauen alle bis auf Ortrud und Telramund diskret in eine andere Richtung, als Lohengrin und Elsa im ersten Akt das erste Mal miteinander sprechen. Es entstand eine spannende Intimität zwischen den Protagonisten, ein persönliches Drama: Elsa ist nicht nur die Reine, Weiße, sondern ein junges, naives Mädchen, das viel liest und sehr verträumt ist, vielleicht sogar in einer eigenen Welt lebt. Lohengrin ist schwarz gekleidet, so ist er auch weniger ein gottgesandter Held, sondern in erster Linie ein normaler Mann, der sich nach Liebe und Zuneigung von Elsa sehnt. Die Entwicklung der Beziehung der beiden Personen ist in der Brautgemachszene im dritten Akt detailliert herausgearbeitet. Sie benehmen sich wie verliebte Teenager, die nicht wissen, wie sie miteinander umgehen sollen. Als Lohengrin versucht, ihr näherzukommen, entzieht sie sich ihm und singt verträumt ins Publikum: "Doch ich zuvor schon hatte dich gesehen, in sel'gem Traume warst du mir genaht.".

Die mächtige Gegenspielerin Ortrud ist die einzige Person in Farbe. Zunächst mit einem schwarzen Mantel bedeckt, kommt im zweiten Akt ein knallrotes Kleid zum Vorschein. Sie wird dadurch oft in den Mittelpunkt gerückt. Sie besitzt die Macht, Elsa zu der verbotenen Frage zu bringen. - Am Ende des zweiten Aktes schaut Elsa, während sie in die Kathedrale schreitet, beim Fragemotiv zu ihr zurück. In der Szene im Brautgemach ist sie immer im Hintergrund anwesend.

Kehl zeigte sich als Meister im Herausarbeiten von Atmosphäre, jedoch nicht konsequent und unpassend erschien es mir, als Elsa am Ende des zweiten Aktes im völligen Dunkel mit neonblau strahlenden "Nicht fragen"-Aufschriften konfrontiert wurde. Etwas merkwürdig erschienen mir auch Dinge wie zum Beispiel die Darstellung des "Marsches" des Chores durch rythmisches Hin- und Herwiegen. Dies erinnerte eher an Oktoberfest und war nicht überzeugend. Oder als die Brabanter unter lautem Scheppern ihre Schilder fallen lassen, als Lohengrin ankündigt, nicht mit ihnen in den Krieg ziehen zu können.

Klasse die musikalische Leistung des Landestheaters. Chor und Orchester waren hervorragend, es wurde mit brillianten Solisten mit außerordentlicher Sing- und Spielfreude aufgewartet:
Brigitte Bauma bestach durch ihre meisterliche gesangliche Charakterisierung der Elsa. Mit vielen verschiedenen Nuancen drückte sie die verschiedenen Stimmungen und Emotionen der Elsa differenziert aus, ebenso vereinnahmend war ihre schauspielerische Leistung.
Ivar Gilhuus als Lohengrin besitzt eine schöne Heldentenorstimme, mit der er mit kleinen Unsicherheiten und Unsauberkeiten die Partie meisterte. Obwohl er zwischendurch Schwierigkeiten hatte, die Tücken seiner anspruchsvollen Partie mit der detailfreudigen Regie zu verbinden, verkörperte er überzeugend den einsamen Ritter.
Margo Weiskam gestaltete Ortrud mit ihrer mächtigen und ausdrucksstarken Stimme, wobei die Artikulation leider unter der vokalen Kraftmeierei litt.
Mit wunderschöner, sonorer Stimme sang
Ulf Paulsen den Telramund. Sein dunkles Timbre erwies sich als ideal passend zu dessen finsteren Charakter. Er hat jedoch erkennbare Tendenz zur festen Höhe, die wohl zum größten Teil durch Premierennervosität zu erklären ist.
Hans-Otto Weiß als König Heinrich und Rainer Weiss als Heerrufer vervollständigten das Ensemble.

Noch nie hörte man Chor und Orchester des Landestheaters so gut. Im Laufe des Vorspieles entwickelten sich unter der souveränen Leitung von Erich Wächter ein beeindruckender Wagner-Klang, der für den Rest des Abends anhielt. Der mächtige Chor (er erhielt Unterstützung vom Coruso e.V.) zeigte sich erstaunlich sauber und klangschön. Das Streicherensemble musizierte differenziert, sicher in der Intonation und im Ausdruck. An dieser Stelle ist Wächters hervorragende Leistung hervorzuheben: Er entlockte ihnen wunderschöne Zwischenspiele, die die Zuschauer in Atem hielten, wie zum Beispiel jenes nach der Elsa-Ortrud-Szene im zweiten Akt. Natürlich konnten auch die Blechbläser ihr Bestes geben und beeindrucken. Im Zusammenspiel aller entstand eine spannende Dynamik, die Ensembles waren mächtig und mitreißend, eine rundum gelungene musikalische Darbietung, die den Raum vollends ausfüllte.

Fazit
Dies sollte man sich nicht entgehen lassen! Das Detmolder Landestheater hat eine Mammutproduktion auf die Beine gestellt, auch als Vollblutwagnerianer wird man seine Freude haben an der tollen musikalischen Gestaltung und der interessanten, perfekt mit der Musik harmonierenden Inszenierung.


Online Musik Magazin ist das erste deutschsprachige Musikmagazin im Internet. Unter den Rezensionen ist dort der 'Lohengrin' unter 'Was man unbedingt sehen und hören sollte!' eingestuft.
(Anmerkung: Webmaster)


05.10.2002 Norddeutsche Rundschau (Peter A. Kaminsky):
"Lohengrin" ohne Schwan und anderen Requisienkitsch

Itzehoe. Mein lieber Schwan, welch ein Aufwand! Allein vier Reisebusse transportierten die Mitwirkenden in Richard Wagners romantischer Oper "Lohengrin" aus dem fernen Detmold nach Itzehoe, dessen gut zehn Jahre altes Theater erst seine zweite Wagner-Oper erlebte. Aber anders als der "Fliegende Holländer" (hier 1993) dürfte sich diese Aufführung den knapp 400 Besucherinnen und Besuchern langfristig im Gedächtnis einprägen. Und zwar nicht wegen des immensen äußeren Aufwands (Tieflader für das Bühnenbild), sondern wegen einer bemerkenswerten Inszenierung, die die mehr als vier Stunden auf den nicht gerade bequemen Itzehoer Theaterstühlen eigentlich flott vergehen ließen.
[...]
Erster Grund für die Dichte und Stimmigkeit dieses "Lohengrin": das überzeugende dramaturgische Konzept der Inszenierung von
Jan-Richard Kehl und Elisabeth Wirtz. Parallel zur düster-gedämpften Ouvertüre wird pantomimisch die Vorgeschichte erzählt. Ortrud trachtet dem kleinen Gottfried nach dem Leben, sie hüllt ihn in das Totenhemd. Damit ist die ganze Verwandlungsgeschichte vom Tisch, die am Ende der Oper den kleinen Gottfried als den verwandelten Schwan entdeckt, der den Gralsritter Lohengrin als Retter in die Welt des Bösen trägt.
Folgerichtig entlässt die Regie den Requisiten-Schwan als überflüssig hinter die Kulissen. Keine Wasserspiele mehr, weg mit dem Requisitenkitsch! Kein Geheimnis mehr um den Schwan — diese Akzentsetzung der Regie ermöglicht den Blick auf das Frageverbot für Elsa. Sie, die ihren edlen Ritter Lohengrin ja nicht nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen darf, missachtet diese Gängelung und wandelt sich damit zur eigentlichen Heldin.
Fragen sei die erste Bürgerpflicht — dieses aufklärerisch-politische Konzept, verpasst die Regie dieser Oper. Sicher eine parteiische Entscheidung, aber konsequent durchgehalten und unaufdringlich in das Spiel platziert, zum Beispiel über Projektionen auf das Bühnenbild oder die Kreideschrift am Portal.

Großartig auch die musikalischen Leistungen: intensiv, nicht grandios, auf diese Wirkung setzte Dirigent
Erich Wächter. Absolut präsent auch der Chor, aber niemals nur machtvoll, immer auch die Zwischentöne betonend. Brigitte Baumas Elsa von Brabant fehlte es ein bisschen am jugendlichen Timbre, Ortrud (Margo Weiskam) hingegen sang die Wagnerschen Modernismen voll aus, interpretierte ihre Rolle in der Bandbreite von Furie und auch Opfer. Telramund (Ulf Paulsen) betonte das Machtvolle, Vladimir Miakotine erhielt für seinen sonoren Heinrich den meisten Beifall. Lohengrins Jugendlichkeit kam bei Ivar Gilhuus etwas zu kurz. Dafür glänzte er in seinen ariosen Ansätzen, er vermied jedes Pathos.

Das Bühnenbild nutzte die Größe des Böhm-Baus optimal aus. Es war ein Genuss, nicht nur im Material, sondern auch im Intellekt und in der musikalischen Reflexion aufwendiges Theater zu erleben. Nicht das Heroische, nicht das Mythologische, sondern die menschliche Sehnsucht spielte die Hauptrolle. Es geht auch ohne Schwan.



03.10.2002 www.opernnetz.de (frs.):
Ortruds Fragen

Ortrud motiviert Gottfried zur Frage nach dem "Warum?" - In Detmold gibt's einen elektrisierenden Focus des "Lohengrin" schon zur Ouvertüre. "Befragt" werden die Personen - Elsa auf ihren mythenbezogenen Lebensanspruch, Telramund auf seine ambivalente Motivation, König Heinrich auf seine machtkonstituierende "Einheitsideologie", schließlich Lohengrin mit seinem usurpierten Anspruch auf "Erlösung". Jan-Richard Kehl inszeniert dies hochreflexive Szenario ohne Verzicht auf die intensiven Beziehungen zwischen den Akteuren.

Das Bühnenbild von
Michael Engel zitiert die (zerstörte) Fassade der Twin Towers - man mag über weitere Assoziationen zur zivilisatorischen Hybris gar nicht weiter nachdenken: Ortrud als moralisch gerechtfertigte Al Kaida? Wohl nicht! So ist's mit dem aktuellen Verweis auf konkrete Bezüge: Optisch ansprechend, inhaltlich disapart!

Gespielt und gesungen wird in Detmold auf hohem Niveau, und das alles mit eigenem Ensemble!
Brigitte Bauma gibt eine illusorisch-selbstbewusste Elsa mit klarem Sopran; Margo Weiskam ist eine nachhaltig forschende Ortrud, intensiver Mezzo mit leichten Schärfen; Hans-Otto Weiß strahlt als Heinrich kalkulierte Menschlichkeit aus, beeindruckt mit flexiblem Bariton; Ulf Paulsen ist ein zwiespältiger Telramund, seinem kraftvollen Bariton fehlt noch die emotionale "Weichzeichnung"; mit Ivar Gilhuus steht ein stimmgewaltiger Lohengrin auf der Bühne, reißt mit einer ungemein dramatischen Gralserzählung hin!

Erich Wächter, Detmolds neuer GMD, führt das leistungsstarke Orchester des Landestheaters zu einem üppig-differenzierten Wagnerklang: opulent, klangschön, voller Dynamik, in wunderbarer Übereinstimmung mit den Solisten.

Wer erwartet hatte, dass zum Wahlfinale das lippische Publikum den Sieg "ihres" Schröder gar nicht abwarten könnten (der "Lohengrin" beginnt exakt um 18.00 Uhr), sieht sich getäuscht: die hochklassige Aufführung lässt keine Abschweifung ins Politische zu: keine Prognosen in den Pausen, kaum Austausch von Hochrechnungen.
Aber: zwanzig Minuten Applaus, das Orchester auf der Bühne, standing ovations!

Opernnetz ist eine Internetseite der Ruhr-Universität Bochum, Sektion für Publizistik und Kommunikation.
(Anmerkung Webmaster)



24.09.2002 Westfalen-Blatt (Robin Jähne):
Vernebelter Schwan

Detmold. Gelungene Premiere am Detmolder Landestheater: Mit der romantischen Oper "Lohengrin" zeigte die Bühne am Sonntagabend in der letzten Spielzeit von Intendant Ulf Reiher erstmals nach langer Zeit wieder ein Werk des Komponisten Richard Wagner.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer sich im "Lohengrin" auf den Schwan gefreut hatte, sah sich enttäuscht. Stattdessen gab es jede Menge Rauch und Lichteffekte. Sehr modern hatte
Jan-Richard Kehl den romantischen Opernstoff inszeniert - nicht alles erschloss sich gleich auf den ersten Blick den Zuschauern. Dafür boten das Ensemble und vor allem das Orchester unter der Leitung von Erich Wächter eine großartige musikalische Leistung - für Wächter war es übrigens sein Einstand als neuer Generalmusikdirektor in Detmold.

Wenn sich zu den feinen Tönen der Ouvertüre der Vorhang wenige Zentimeter hebt, dann fließen Nebel über die Bühne. Symbolisch wird der junge Herzog Gottfried von Brabant von der zauberkundigen Ortrud in einen Schwan verwandelt. Aufgezogen gibt der Vorhang den Blick frei auf ein minimalistisches Bühnenbild. Plastikfolien begrenzen den Raum, in die nur Nebelmaschinen und das Spiel von Licht und Schatten ein wenig zarte Romantik zaubern. Die Krieger tragen statt der Rüstung schwarze, anzugähnliche Kostüme. Von hinten schleicht sich der Held in die Szene, aber auch sein Äußeres erinnert wenig an einen Ritter.

Die Handlung ist verschlungen: Heldin Ortrud (hervorragend gesungen und gespielt von
Margo Weiskam) verwandelt Gottfried in einen Schwan und behauptet dann, Elsa (Brigitte Bauma) habe ihren Bruder aus Machtgier getötet. Graf Friedrich von Telramund (Ulf Paulsen, der Star des Abends) trägt die Klage gegenüber König Heinrich dem Vogeler (Hans-Otto Weiß) vor. Der entscheidet sich für ein Gottesurteil - ein Schwertkampf, beim dem Gott richtet. Für Elsa tritt Lohengrin (Ivar Gilhuus) ein, allerdings nur unter der Bedingung, anonym bleiben zu dürfen. Erst nach der Heirat mit Elsa gibt Lohengrin sein Geheimnis preis: Er ist ein Gralsritter und entzaubert den Schwan zurück in den jungen Gottfried.

Zum Schluss gab es stehenden Applaus für die brillanten Stimmen und die großartige Leistung von Darstellern und Orchester.



24.09.2002 Lippische Landes-Zeitung (Sabine Flamme-Brüne):
Kein Held in der Mittagsmaschine

Detmold. Mein lieber Schwan: Das Landestheater hat mit der Produktion der Wagner-Oper "Lohengrin" einen ganz schönen Brocken auf die Bühne gestemmt, und damit - obwohl das Ganze zuweilen einen etwas oratorienhaften Charakter hatte - einen Riesenerfolg gelandet, wie die mit stehenden Ovationen gewürdigte Premiere am Sonntagabend zeigte.

Zwar wird man Detmold auch in Zukunft nicht in einer Reihe mit den großen Wagner-Bühnen nennen, aber was tuts. Denn verstecken muss sich das Landestheater mit dieser Inszenierung nun wahrlich nicht. Schade wars um jeden Platz, der wegen des Wahlabends unbesetzt geblieben war. Dabei gabs auch hier politische Intrigen und Spannung satt. Aber viereinhalb Stunden Wagner wollen natürlich auch abgesessen sein. Was allerdings mit zwei Pausen locker zu bewerkstelligen war. Und wer den zweiten Akt, der durchaus einige werkimmanente Längen hat, hinter sich gebracht hatte, der nahm den dritten dann auch noch ohne Schwierigkeiten.

"Nie sollst du mich befragen" - diese Lohengrin-Anordnung gilt natürlich nicht für Regisseure. Von
Jan-Richard Kehl würde man gerne erfahren, was er mit der Szene, die er zum Vorspiel spielen lässt, sagen will. Erklärt sich hier, warum Ortrud später nach Rache dürstet? Während man darüber ins Grübeln versinkt, verpasst man leider den Großteil dieser wunderschönen Musik, die das Orchester unter den Händen des neuen Generalmusikdirektors Erich Wächter entfaltet.

Und dann gehts los: Im fahlen Licht am Ufer der Scheide bei Antwerpen (Beleuchtung:
Walter Muschmann) empfehlen sich gleich in der ersten Szene Rainer Weiss als Heerrufer, Hans-Otto Weiß als König Heinrich und - absolut brillant - Ulf Paulsen als Friedrich von Telramund, dessen schwarze Seele sein dunkler, voluminöser Bass widerspiegelt. Elsa wird als Konsumentin von Fantasy-Romanen eingeführt, was aber glücklicherweise nur über literarischen Geschmack Auskunft gibt. Ansonsten erweist sich Brigitte Bauma, nachdem sie mit verklärtem Schmelz ihre "Traum-Arie" gesungen hat, als durchaus der Realität verhaftete Erbin von Brabant, ausgestattet mit einer gesunden Portion Neugier, die zu wissen verlangt, mit wem als ihrem Retter sie es zu tun hat - und dazu auch schon mal kraftvoll, aber immer schön klingend Tacheles singt.
Und dann kommt - kein Schwan. Das verwirrt wohl auch den Chor, der zu den Worten "Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran" auf Anweisung des Regisseurs nach oben blickt. Erwartet man Lohengrin etwa mit der Mittagsmaschine? Während sich alles nach vorne und oben konzentriert, legt Lohengrin klammheimlich hinten und unbeobachtet auf der Bühne an. Und winkt dem längst entschwundenen Schwan einen Abschiedsgruß zu, ehe man überhaupt merkt, was passiert ist. Lohengrin selbst, der verheißene Ritter, die Lichtgestalt, ist - bitte nicht persönlich nehmen, Herr Gilhuus - nicht der strahlende Held, den man sich gewünscht hätte. Schüchtern-linkisch spielt er sich selbst ins Abseits. Dass der Tenor
Ivar Gilhuus stimmlich durchaus zupackend ist und Helden-Qualitäten hat, konnte über seine teilweise unbeholfene Reglosigkeit in der Darstellung nicht hinwegtäuschen.

Ins Zentrum seiner Inszenierung hat Regisseur Jan-Richard Kehl die Figur der Ortrud, gesungen von
Margo Weiskam, gestellt. Während die Mezzosopranistin im ersten Akt kaum gegen den monumentalen Chor ankam - oder wollte sie sich da noch ein bisschen schonen? -, legte sie im zweiten Akt ordentlich zu, steigerte sich in Rage und sicher platzierte Spitzentöne. Toll.

Claudia Heinrig ist mit ihren Kostümen eine treffende Charakterisierung der Figuren gelungen: Elsa im unschuldigschlichten Weiß, Ortrud in Racherot und raffiniert-drapiert zeigen gleich, wie man sie einzuschätzen hat. Das Bühnenbild von Michael Engel ist betont schlichte, zeitlose Architektur, als Innen- wie als Außenraum zu verwenden.

Einer der Stars des Abends war zweifellos der
Chor. Mit Bravo-Rufen und Extra-Applaus bedacht, konnte Chordirektor Felix Lemke stolz auf seine Sängerinnen und Sänger sein. Und ein bisschen Dankbarkeit in Richtung Förderverein war bestimmt auch dabei, denn der hat diese Produktion finanziell unterstützt und es so unter anderem möglich gemacht, Mitglieder des freien Opernchores Coruso zu verpflichten.

Was Generalmusikdirektor
Erich Wächter mit dem Orchester des Landestheaters an Musik aus dem Graben erstehen ließ, war ganz einfach großartig. Ob in den fein-lyrischen Szenen Elsas oder in den monumentalzupackenden des Chores - die Musiker waren unter der sensiblen, kundigen Führung Wächters in jedem Moment konzentriert bei der Sache. Und die Blechbläser genossen es hörbar, hier einmal im Mittelpunkt stehen zu dürfen. Absolut hörenswert.