BESPRECHUNGEN & KRITIKEN (Auszüge):

zu Der Freischütz von Carl Maria von Weber:

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Zypressen im deutschen Wohnzimmer


Der Görlitzer Freischütz findet einen neuartigen Teufel. Auch sonst erhält er eine Frischekur, die ihm gut zu Gesicht steht. 


… 

Und den Samiel prompt von der Bühne verbannt. Das Böse, das Kaspar zu dessen Glück verhilft, sind im Görlitzer Freischütz Drogen. Ein Kapitel im Programmheft ist folgerichtig Crystal Meth gewidmet. …

Für seine Inszenierung kassierte Jan-Richard Kehl bei der Premiere am Sonnabend einige Buhs, aber auch Bravos. Man konnte von ihm, einem Schüler des großen Regisseurs und Werkhinterfragers Peter Konwitschny, nicht erwarten, dass er die altdeutsche Sage traditionsgetreu auf die große Bühne stellt. Also setzt Kehl in Görlitz die Säge an den deutschen Wald. Das war der geheiligte Sehnsuchtsort, in dem der „Freischütz“ spielt, seine Ausmalung durch die Musik machte Carl Maria von Weber berühmt. Kehl zimmert gewissermaßen Bretter daraus und liefert sie als Mobiliar eines deutschen Wohnzimmers wieder auf der Bühne ab.


Dort nehmen die Darsteller auf dem Sofa Platz und das In-die-Ferne-Sehen, Ausdruck der Ursehnsucht des Romantischen, wörtlich: Sie sehen fern. Die Geschichte um die Liebe zweier Waldleute und finstere Mächte, die sich dazwischenschieben, rührt Kehl bei aller Deutungslust nicht an. Im dritten Akt nach der Pause nimmt er die Regieeingriffe zunehmend zurück, überlässt Musik und Sängern die Bühne, das Publikum zu überwältigen. Kehls Inszenierung ist weder belanglos, noch mutet sie dem Opernbesucher eine zugespitzte Überformung zu. Der „Freischütz“ funktioniert, das zeigt er, auch ohne den Teufel, wie die Überlieferung ihn kennt. Die Gestalt mit der Kapuze (Won Jang), die in Görlitz mysteriös über die Bühne schleicht, ist, wie wir am Ende erfahren, sein Gegenteil.


Das sind Gründe, dem Publikum den Görlitzer „Freischütz“ sehr zu empfehlen. Und sei es, um herzhaft zu streiten, was das denn eigentlich sei: deutsche Romantik.“


Marcel Pochanke - Sächsische Zeitung, 12.10.2015

zu Rusalka von Antonín Dvořák:

Dvoráks Oper als dichte Sozialkritik


Große Oper am Landestheater, große Oper in Neumünster … Die Realisierung von Dvoráks bekanntester Oper gelang Solisten und Chor, Orchester, Regie- und Ausstattungsteam auf hohem Niveau. Die Besucher im gut gefüllten Theater in der Stadthalle hatten allen Grund, den Mitwirkenden mit anhaltendem Beifall zu danken. Für ein paar Irritationen sorgte wohl die Inszenierung von Jan- Richard Kehl, der in den vergangenen vier Jahren etliche alte Werke in neuer Sichtweise spannend und überzeugend präsentierte und das Publikum auf diesem Weg mitnahm. Seine "Rusalka" (slawisches Wort für Nixe) ist keine romantische Geschichte. Die ziemlich ernüchternde Handlung spielt in einer Welt, in der Armut mit Wassermangel und Reichtum mit Wasservorräten zu tun hat, in der "die da unten" am Rande der Existenz vegetieren und "die da oben" Ressourcen ohne Sinn und Verstand vergeuden. Zu den Armen gehören Rusalka, ihr Vater, der "Wassermann" … die "Hexe" Ježibaba …, drei "Bordstein"-Elfen … - alle desillusioniert und ohne Perspektiven. In diesem Slum-Ghetto, umgeben von einer hohen Mauer mit Stacheldraht, interessieren den Prinzen nicht die Bewohner, sondern nur neue Wasserquellen. Im dritten Bild ist es klar: Den Ärmsten wurde auch noch der letzte Tropfen Wasser geraubt. Ihnen wurde das Wasser abgegraben - eine Metapher, wie sie angesichts der Ignoranz der Politik gegenüber den lösbaren Problemen des Landestheaters aktueller nicht sein kann. Für das naive Mädchen Rusalka ist der Prinz ein Lichtstrahl im Dunkel, an ihn hängt sie ihre Liebe und alle Sehnsüchte. Für den Prinzen ist sie nur ein Zeitvertreib. Das wird evident auf der Schickimicki-Party, auf der die attraktive fremde Fürstin … die stumme Rusalka aussticht. Alles im Handlungsablauf wirkte realistisch und in sich logisch. …“


22. März 2010 | Von Karin Hartmann - HOLSTEINISCHER COURIER

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zu Louise von Gustave Charpentier :

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Kultur und Aufbruchstimmung - Armut und Verzweiflung

In diesem Etablissement nun nimmt die Geschichte ihren Lauf. Louise (Sabina Martin) verliebt sich in den Musiker Julien (Vincent Schirrmacher). Ihre Eltern sind gegen die Romanze. Das junge Paar brennt durch, um Freiheit zu erleben. Das Synonym dieser Freiheit: Paris. Jene Stadt, die zur Zeit Charpentiers der Mittelpunkt der Welt war. Eine brodelnde Metropole am Anfang der Moderne; gezeichnet von

 Kultur und Aufbruchstimmung auf der einen, Armut und Verzweiflung auf der anderen Seite. Wenngleich Kehl Paris nur noch als Idee aufgreift, so bleibt er doch dem Verismus von Charpentier treu, wie schon sehr bald offensichtlich wird. Denn die veränderten Eckdaten des Stückes, der Wechsel von der Nähstube ins Vergnügungsviertel, sind nicht nur ästhetischen Überlegungen geschuldet. Spätestens wenn Louises Freiheit konkret wird, sie selbst als Tänzerin in einem Etablissement auftritt und die Nächte von Exzessen gezeichnet werden, beginnt der Stoff seine scheinbar immerwährende Aktualität auszuspielen.

Immer wieder, wenn Vater und Tochter streiten, kann man fast vergessen, dass es sich hier "nur" um Oper handelt. … Ein wunderbares Stück. Intelligent inszeniert.“


2. März 2009 | Till H. Lorenz in Flensburger Tageblatt


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Wiederentdeckt: Charpentiers „Louise“ am Landestheater Schleswig- Holstein

Flensburg - Sex and Drugs and Rock'n'Roll, eine zwielichtige Kellerdisco als

Einheitsbühnenrund und ein paar starke Sängertypen: Mehr braucht es am Landestheater nicht für den wirkungsvollen Kunstgriff zur Wiederbelebung von Gustave Charpentiers eigentlich mausetotem „Roman musical“ Louise.

Operndirektor Jan-Richard Kehl versteht den Ausstieg des Töchterchens aus dem spießigen Mief des Elternhauses als zeitlos gültigen Generationenkonflikt und findet das Pendant zur Bohème-Entgleisung der Jugend um 1900 im studentischen Aufbegehren des Pariser Mai 68 Jahre später. Was bei Charpentier noch reichlich verklärt erscheint, wird hier zum beidseitig zerstörerischen Prozess. Wenn Louise am Ende zur Bohème-Königin gekrönt wird, ist sie hier schon ein psychisches Wrack, ein Opfer des inzestuös belasteten Verhältnisses zum Vater und der misslungenen Flucht in die freie Liebe.

Paul Zoller und Annette Braun finden ihre Bühnenbild- und Kostümassoziationen in Ettore Scolas berühmtem Kinofilm

Le bal - der Tanzpalast von 1983. Und der Regisseur wird sich vermutlich nicht wehren, wenn man beginnt, auch an Rainer Werner Fassbinder zu denken, so

 bitter beschädigt umschleichen sich die in der Manege gefangenen menschlichen Raubtiere auf der Bühne. …


05.03.2009 | 12:30 Uhr | Kieler Nachrichten - Online | Christian Strehk


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„… Er lässt das Familiendrama – statt, wie im Libretto vorgesehen, an wechselnden Schauplätzen mit realistischem Pariser Kolorit – in einem Einheitsraum spielen: einem leicht heruntergekommenen Revuetheater (Bühne: Paul Zoller), in dem Louises Vater als Kellner und die Tochter als Putzhilfe angestellt sind. Hier entwickelt sich in konzentrierter Nähe die Liebesbeziehung Louises zu Julien, dem Komponisten einer Band (auf den übrigens auch die Mutter ein Auge geworfen zu haben scheint), hier werden Wünsche und Ängste zu optischen – oft alptraumhaften – Visionen. Wenn Louise zur Muse der Bohèmes gekrönt wird, dringt die Schar der Pariser Demimonde maskenhaft- bedrohlich in den Raum, der sich vorher, beim großen Liebesduett zu Beginn des dritten Aktes, in ein von kreisendem Discokugel-Licht durchflutetes Nirwana verwandelt hatte. Das alles hat Konsequenz und wird mit gekonnter Personenführung szenisch arrangiert, inklusive einer offenbar inzestuösen Schwangerschaft Louises, die der im Werk als zentrales Moment angelegten Vater- Tochter-Beziehung Schärfe verleiht. Aber nicht nur in ihrer unverkrampften szenischen Originalität, auch musikalisch bot sich in Deutschlands nördlichstem Opernhaus eine hochrangige Leistung. …“


Gerhart Asche / opernwelt / Seite 43 / April 2009

zu Doktor Faust von Ferruccio Busoni:

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An Busonis 1925 uraufgeführte Faust-Oper, einen Meilenstein der musikdramatischen Moderne, haben sich kleinere Theater bis heute selten herangetraut. Insofern gebührt dem erfolgreichen Versuch, das ebenso grandiose wie sperrige Stück Musiktheater auf die Bühne des Flensburger Hauses zu bringen, hohe Anerkennung. Eine Vorreiterrolle, die – man hofft es für das Werk – nicht ohne Folgen bleiben wird. Operndirektor Jan Richard Kehl bekommt das monumentale Dreistunden-Opus gut in den Griff, wobei er theatertechnisch auch die zu mancher Vereinfachung zwingenden Abstecherverpflichtungen ins norddeutsche Umland nicht aus den Augen verliert. Der vom Rundhorizont umschlossene, nach hinten durch eine Bühne auf der Bühne sich öffnende Einheitsraum (Entwurf: Andreas Wilkens) stellt, mit Requisiten leicht abwandelbar, eine abstrakte Version von Faustens Studierzimmer dar, wenn man so will eine Art Elfenbeinturm, in dem er die Episoden der Handlung – den Pakt mit dem Teufel, die Konfrontation mit Gretchens Bruder Valentin in der Kirche, die Geschehnisse am Hof von Parma, das Zusammensein mit den Studenten in der Schenke und das Ende in Wittenberg – durchlebt oder vielleicht auch nur imaginiert. Beleuchtungseffekte, pyrotechnische Tricks, Kostümwechsel, Schattenspiel, Zeitlupenchoreografie und raffiniertes Vertauschen von Personen tun das Ihrige, um die magisch-illusionistische Atmosphäre herbeizuzaubern, von der Faust und Mephisto umgeben sind. Auch die Gretchentragödie, von Busoni weitgehend ausgespart, ist in pantomimischer Andeutung präsent. Am Schluss aber – und das ist die eigentliche, die tiefe, die bewegende Aussage der Inszenierung – endet der Titelheld wieder dort, wo er angefangen hat: in totaler Resignation. Ganz gemäß dem von Philipp Jarnach ergänzten Schluss, der in seiner musikalischen Hoffnungslosigkeit nichts weiß von der – in Flensburg nicht umgesetzten – Szenenanweisung einer verjüngten Wiedergeburt Fausts, seines Aufbruchs zu neuem, auf eine positive Zukunft gerichteten Leben. …“


Gerhart Asche / opernwelt / Seite 49 / November 2009

zu Der Schöne Tod:

„Der schöne Tod“ - ein gelungenes Opernexperiment 

… 

Man nehme einige markante Sterbeszenen der Operngeschichte, sechs Regisseure und einen Versuchsraum, in dem sich beide treffen. So eröffnen sich mit dem aktuellen Werkstatt-Projekt Der schöne Tod am Landestheater Flensburg plötzlich unbekannte Blickwinkel auf altbekannte Arien.

Es ist eines der kostbaren Privilegien der Kunstform Oper, dass man durch sie als Zuschauer die Möglichkeit hat, den jeweiligen Protagonisten auf der Bühne noch in dem Augenblick, in dem er stirbt, als besonders lebendiges Wesen erfahren kann. Dieser Bühnentod, der, in seiner weiblichen Spielart, nun auch bei der Uraufführung des Werkstatt-Projekts

Der schöne Tod auf der Kleinen Bühne des Flensburger Landestheaters im Mittelpunkt stand, ist letztlich nichts anderes als der gespenstische Moment einer Spaltung, an dem sich der Zuschauer auf einmal einem Untoten gegenübersieht, dessen oft höchst expressives Sterben er fasziniert verfolgt.

Ausgehend von diversen bekannten Sterbeszenarien der Operngeschichte von Purcell bis Puccini hatten sich die Regisseure Lorenzo Fiorini, Alexander von Pfeil, Thilo Reinhardt, Paul Zoller, Tatjana Gürbaca und Jan-Richard Kehl für

Der schöne Tod einen szenischen Rahmen erdacht…

Das Gelungene an diesem kurzweiligen Projekt ist, dass es pathetisch und ironisch zugleich ist. All die diversen emotionalen Extremzustände und Situationen werden dabei immer wieder dadurch in ihrer Vehemenz gebrochen, dass einer der Akteure plötzlich aus der bis dahin verkörperten Rolle aussteigt und zum Kommentator seiner selbst wird…“


 Kieler Nachrichten, 07.06.2009


zu Tannhäuser von Richard Wagner:

„…Doch eine stimmlich großartige Michaela Lucas in der Rolle der Venus ließ schon früh Gewaltiges erahnen. Und so kam es dann auch. Tannhäuser riss sich von der Venus los, die Inszenierung vom Althergebrachten. Eine Hirtenidylle wird eingeblendet. Ein kleiner Junge läuft über die Bühne. Tannhäuser selbst. Oder vielmehr: sein unschuldiges Ich. Die Realität lässt aber nicht lange auf sich warten. Ebenso wenig der zweite Akt, die Wartburg, der dortige Sängerkrieg und eine überragende Susanna von der Burg in der Rolle Elisabeths, der großen Liebe Tannhäusers.

Das ganze Haus gehörte zur Szene Besonders personell wurde mit diesem Akt ein Schwergewicht auf die Bühne des Landestheaters gehoben.  … Die ästhetischen Eckdaten der Inszenierung erinnerten nicht zuletzt an Patrice Chéreaus Jahrhundertring: Elemente aus dem 19. und 20. Jahrhundert durchsetzt von Requisiten aus Wagners Sagenwelt. Ein Irgendwo im Irgendwann erschuf Jan- Richard Kehl. Bühne und Publikumsraum wurden eins. Wunderbar. Und so wurde hier nicht länger Theater gespielt, sondern Oper gelebt - und das ganze Haus zur Szene. Die Gesellschaft der Wartburg saß im Publikum und beschimpfte den "sündigen" Tannhäuser. Beim Papst persönlich sollte dieser um Vergebung bitten. Für den dritten Akt wurde die Oper zu Zeiten von Wagner teilweise verboten. Die religiösen Gefühle waren schuld. Kommt einem das nicht bekannt vor? Amerikanische Touristen mit Kruzifixen, Elisabeth als Schahidki, als Märtyrerin, als schwarze Witwe mit Sprengstoffgürtel sind Jan-Richard Kehls grandios

wie intelligente und nicht minder spektakuläre Antwort darauf. Die fanatische Masse nagelt Tannhäuser ans Kreuz. Und mit ihm: die Unschuld und Idylle jener zwischendrin erträumten archaischen Welt. Oper, wie sie sein soll. Der donnernde Applaus in Bayreuth war sicher. …“


 15. September 2008 | Till H. Lorenz in Flensburger Tageblatt


Leserkommentare:

KLAUS DIETER BACHMANN

17.09.2008 18:13

Tannhäuserkritik

Aus Hamburg eigens wegen dieser Inszenierung angereist und von Bayreuth und anderen Bühnen durchaus Tannhäuser-verwöhnt, hat mich die Flensburger Aufführung nicht nur beeindruckt sondern geradezu gepackt, fasziniert, begeistert. Was in der Premierenkritik m.E. leider völlig fehlte, war die Erwähnung des unglaublichen Chores. Was sich da ereignete und wie da gesungen wurde, mit welcher Präzision, Dynamik im Lauten und Leisen, mit Wucht und Zartheit, das war sensationell und kann sich mit jeder "großen" Bühne in Deutschland incl. Bayreuth messen. K.D. Bachmann

zu Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart:

„…

An Wolfgang Amadeus Mozarts berühmtem „Dramma giocoso“ Don Giovanni verheben sich oft genug sogar die großen Opernhäuser. Doch am

„kleinen“ Landestheater Schleswig-Holstein ist jetzt eine musikalisch und szenisch überzeugende Neuproduktion voller düsterer und amüsanter Momente zu sehen. Ausgerechnet im intimen Moment des Ständchens, wenn der heiß begehrte Verführer wie gewohnt und erwartet seine virile Magie wirken lassen möchte, nimmt ihm „der schöne Tod“ (Olga Dubowskaja) endgültig die Mandoline aus der Hand: „Wenn du dich weigerst, mir Trost zu spenden, will ich vor deinen Augen sterben...“, singt Don Giovanni und vermag dabei den schmerzhaft angeschwollenen Versagensängsten kaum noch Stand zu halten. Flensburgs Operndirektor Jan-Richard Kehl macht in seiner Inszenierung aus dem ewigen Womanizer keine ungerührt vorwitzige Lichtgestalt, sondern einen plötzlich gealterten, von endzeitlicher Düsternis umschauerten Verlierer, der – ganz im Sinne Oscar Wildes – von Teufeln und Engeln gleichermaßen in die Falle gelockt wird. 

Am Ende steigert sich der Abend in ein hitziges Gefecht Don Giovannis mit sich selbst. Und das Regie-Konzept erspart uns peinliche Auftritte wandelnder Statuen, weil der unglücklich erstochene Komtur (gewaltig: Marek Wojciechowski) hier „nur“ in Giovannis, beim jüngsten Gericht von keiner katholischen Beichte entlastetem Gewissen erscheint. Doch auch die gerächten Paare werden nicht wirklich froh: Der Geist des bestraften Wüstlings wird ewig zwischen ihnen stehen. …“


Christian Strehk - Kieler Nachrichten, 27.05.2008

zu Wozzeck von Alban Berg:

„Eine Welt verdrehter, irrer Typen 

Flensburg - Es ist, als wäre die Welt aus den Fugen: Ein schräg nach hinten ansteigendes Wegegeflecht beherrscht die Bühne in Flensburgs Theater; mit finsteren Abgründen dazwischen. Am linken Rand in Kopfhöhe ein Laufband, an dem ein Schwein ausgenommen wird. Und vorn liegt ein Berg von Innereien: Der Platz ist verflucht…


In dieser finsteren Atmosphäre (Bühne: Paul Zoller) lässt Flensburgs Operndirektor Jan-Richard Kehl Alban Bergs "Wozzeck" spielen - das Drama um den armen Soldaten, den feine Leute triezten und ausnutzten, bis er zum Mörder und Selbstmörder wird. Bei Kehl ist nicht Wozzeck der Irre, sondern die Gesellschaft - skurril verdrehte Typen wie der selbstgefällige Hauptmann (mit buffoneskem Tenor: Helmut Tromm) oder der an seiner vermeintlichen Genialität als Forscher sich berauschende Doktor (ganz in Weiß mit schwarzen Tiefen: Peter Schulz). Der großkotzige Tambourmajor (heldentenoral: Michael Ende) kommt als rassebewusster Neonazi daher, um mit Marie eine "Zucht von Tambourmajors" aufzumachen. 

Die Gesellschaft in den Wirtshausszenen (grandios: der Chor) wirkt grell entfremdet wie die Figuren auf einem Bild von Georges Grosz. … Und eine ebenso gelungene Inszenierung. …“


CHIRISTOPH KALIES - Flensburger Tageblatt

zu Tosca von Giacomo Puccini:

„… Das Landestheater Schleswig-Holstein ist inzwischen auch in seiner Opernsparte im 21. Jahrhundert angekommen. Spätestens mit dem gerade erfolgten Amtsantritt des neuen Operndirektors Jan-Richard Kehl, der zuvor als Gastregisseur unter anderem Händels Xerxes und Offenbachs Schöne Helena szenisch aufgeweckt präsentiert hatte, dürfte hier Kontinuität eintreten. … in schwierigen Zeiten mehr und mehr auch im Musiktheater den Mut zur heutigen Befragung der Stoffe. Und Befragung muss ja keineswegs gleich provokative Zerschlagung bedeuten.

Ein schönes Beispiel dafür ist die neue Tosca-Produktion. Der Regisseur Kehl destilliert in der praktikabel auf engem Raum wandelbaren, leicht italoschicken Einheitsbühne (Udo Hesse) ein genau getimtes kriminalistisches Puccini-Kammerspiel, das sich gestern in einem labilen "Rechtsstaat" hätte abspielen können – und leider auch morgen wieder. …“


Christian Strehk - Kieler Nachrichten, 22.09.2006